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Lektion 2: Die Seelen- und die Verhaltensebene

Mit Pferden kannst du auf zwei verschiedenen Ebenen „agieren“ beziehungsweise sein. Natürlich vermischen sich beide Ebenen, aber einfachheitshalber erkläre ich sie separat.
Dein Verhältnis zu deinem Pferd wird sich grundlegend verändern, wenn du beide Ebenen kennst, wahrnimmst und mit ihm im pferdischen Sinne lebst. Denn Pferde sind beides, sowohl bodenständig als auch nach oben verbunden. Genau so wie wir. 
 
Die Seelenebene 
 
Ich nenne diese Ebene die „obere Ebene“. Der Zugang zu oben, dem Kosmos, dem Himmel oder wie du es nennen magst. Wenn du dem Pferd auf dieser Ebene begegnest, sind alle Grenzen weg. Du erlebst Verbundenheit zwischen zwei Geistwesen in verschiedenen Körpern. Es ist, als ob du es hören würdest, ganz nah bei ihm bist. Es geht da nicht um „pferdische Themen“.
Auf dieser Ebene erwirbst du Erkenntnisse. Hier kannst du die Hinweise deuten, die dir die Pferde geben.
Um die Seelenebene wahrzunehmen braucht es:

  • Die Fähigkeit des Zuhörens

  • Ein ruhiger Verstand

  • Sensitivität

  • Intuition  

Diese Zutaten sind nichts Besonderes. Jeder hat sie in sich, aber es bedarf etwas an Übung, sie gut auszubilden.
 
Die Verhaltensebene
 
Auf der Verhaltensebene wollen die Erkenntnisse von „oben“ auf der Erde umgesetzt werden. Also nenne ich sie die „untere Ebene“.
Hier agiert das Pferd auch als Tier Pferd, mit all seinen Bedürfnissen.
Aufgrund unseres grundlegend anderen Ursprungs verstehen sich Pferd und Mensch nicht auf natürliche Weise:
Während Menschen Raubtiere sind und Pferde Fluchttiere, schüchtert der Mensch das Pferd natürlicherweise schon ein, wenn er seine Jägereigenschaften nicht ablegen kann. Nur schon das Heraufziehen der Schultern oder das Fokussieren mit den Augen ist alarmierend für ein Pferd.
Menschen sind zudem „Handtiere“ (sie brauchen ihre Pfoten) und wollen alles ergreifen, was wiederum für Pferde als Fluchttiere angsterregend ist.
Domestizierte Pferde sind zwar meistens daran gewöhnt und in ihren Instinkten abgestumpft. Hättest du aber ein Wildpferd vor dir, würde jedes Wimpernzucken eine Auswirkung haben. Wenn du dir dem bewusst wirst, kannst du auch mit einem domestizierten Pferd achtsam pferdisch im natürlichen Sinne umgehen, was eine harmonische Beziehung begünstigt.

Was ich mit dir auf dieser Ebene näher anschauen möchte, ist das unterschiedliche Herdenverhalten und die unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen und Pferden. Denn diese sind oftmals Gründe für Probleme mit den Pferden.

„Lieb sein“

Hierzu ein Beispiel, das mir in meiner Arbeit oft begegnet. Schau mal, ob es bei dir anklingt:
Jeder Mensch möchte geliebt werden. Dafür hat er oft schon im Kindesalter Strategien entwickelt wie Anpassung, lieb sein, seine Meinung nicht sagen usw., um Liebe zu bekommen. Diese Strategien wären aber nicht nötig gewesen, hätte er genügend Liebe vom Umfeld bekommen. Dieser Mensch ist aufgrund seines Liebesmangels immer darauf bedacht, Liebe bekommen zu müssen. Wahre Liebe ist nicht lieb sein, und auch nicht bedürftig sein. Dieser Mensch versucht Probleme mit dem Pferd zu lösen, indem er noch ein bisschen "lieber" ist mit ihm. Das Pferd fragt aber meistens Klarheit an, und nicht lieb sein. Das sind Gegensätze. Und so entstehen Kommunikationsprobleme, weil das Pferd etwas fragt, und der Mensch auf etwas anderes antwortet. Das Pferd wird verwirrt.
 
Um dem vorzubeugen, ist es wichtig, zu verstehen, wie Pferde funktionieren und wie du geprägt bist. Ganz wichtig dabei ist, dass du deine Prägungen nicht wertest. Sie sind, wie sie sind und beeinflussen dein Leben und dein Verhalten. Aber die gute Nachricht dabei ist, dass du sie verändern kannst.
Damit ein Pferd in der Herde aufgenommen und „geliebt“ wird, muss es zuerst klar sein, seine Grenzen setzen und zu sich stehen. Ansonsten ist es für die ganze Herde eine Gefahr. Du hast vielleicht schon einmal beobachtet, wenn sich zwei fremde Pferde begegnen: es kommt immer zuerst zu einer Auseinandersetzung, wo beide ihre Räume abstecken, bevor sie zu Freunden werden.
Es ist für ein Pferd ganz wichtig zu wissen, woran es ist beim andern. Auch mit dem Menschen. Und zwar vom allerersten Moment an. Das heisst nicht, dass du um dich herum schlagen musst. Sondern nur, dein inneres Verhalten ganz klar zu beobachten und zu entdecken, ob du zu dir stehen kannst oder in einem Anpassungsmodus verfallen bist.
 
Das menschlich angepasste, „liebe“ Verhalten wird vom Pferd als unklar und verunsichernd wahrgenommen, so dass es sich diesem Menschen ungern anvertraut. Je nach Persönlichkeit des Pferdes bekommt es Angst oder wird übergriffig.
 
Kohärenz

Die Verhaltensebene ist ein grosses Spielfeld von Körpersprache, dahinterstehenden Emotionen, Glaubenssätzen, eingespielten Mustern und daraus resultierenden Aktionen, die manchmal nicht mehr miteinander übereinstimmen. Das nennt sich fehlende Kohärenz.
Für Pferde müssen Aktionen immer kohärent sein, damit sie sie glauben. Stimmt die Körpersprache nicht mit der inneren Absicht überein, kommt die Aktion beim Pferd nicht an. Oft sind wir uns gar nicht bewusst, dass wir nicht kohärent sind, dass der Ursprung unserer Bewegung durch ein Muster von uns gesteuert wird, und nicht von uns selbst. Pferde lassen sich aber nichts vortäuschen und geben uns Hinweise dazu, damit wir es ändern können.

So erhalten wir die Gelegenheit, die Zügel unseres Tuns wieder selbst in die Hand zu nehmen, uns selber zu ermächtigen und nicht von Mustern gesteuert zu sein.
 
Ich mache dir hierzu ein Beispiel:
 
Du möchtest ein Pferd von hinten antreiben, so wie es der Leithengst in einer Herde tut. Du selbst hast aber bewusst oder unbewusst eine Abneigung gegen männliche Energie, oder gegen Assoziationen, die du mit dem Männlichen machst. Das kann Druck sein, Aggression, Unterdrückung, Fremdbestimmung oder etwas anderes. Denk daran: es ist Deine Assoziation aufgrund Deiner Erfahrungen. Es enstpricht aber nicht der Wirklichkeit des Pferdes, welches diese Assoziationen nicht hat.
Deine Assoziationen fliessen in deine Bewegung mit ein. Da das Pferd dein Muster als Erstes wahrnimmt und die Bewegung als Zweites, hat deine Bewegung deshalb nicht die gewünschte Wirkung. Das Pferd führt aus, was das Muster sagt, in diesem Fall deine Assoziation. Du aber meinst vielleicht, die Bewegung war doch richtig. Ich habe doch angetrieben! Das nennt sich Inkohärenz. Zwischen dem was du tust und dem, was du meinst.
 
Die zwei Ebenen verheiraten
 
Mit der Heirat zwischen den zwei Ebenen gelangst du in ein völlig harmonisches, selbstverständliches Tun mit dem Pferd.
 
„Probleme“ auf der Verhaltensebene kannst du lösen, wenn du die Seelenebene dazu nimmst, weil du auf der oberen Ebene viele Erkenntnisse zu den Problemen erhältst. Das Warum.
Dafür musst du bereit sein, immer wieder dem Pferd zuzuhören, und zu beobachten, was es in dir in diesem Moment auslöst.
In diesem Moment der Innenschau erkennt das Pferd, dass du es als deinen Lehrer „hörst“ und eure Beziehung wird sich dadurch verändern. Es entsteht Verbindung und ein Miteinander, ganz egal, wie gut du auf der Verhaltensebene bist. Ganz egal wie gut du reiten oder führen kannst. Der Fakt, dass du loslassen konntest, du seist der Lehrer, nimmt viel Druck weg. Das Pferd verzeiht dir alles, immer dann, wenn du ihm Gehör verschaffst. Das heisst aber nicht, dass du es auf der Verhaltensebene machen lässt, was es will.
 
Es gibt aber auch Menschen, die nur auf der Seelenebene mit dem Pferd geübt sind. Sie haben einen guten Zugang zu oben und hören die Pferde. Was sie hören, will aber auch auf der Erde umgesetzt werden. Das heisst, man wird dazu angehalten, es zu üben. Zum Beispiel, dass das Pferd auf der Verhaltensebene als Herdentier geführt werden will und sie dessen Grundbedürfnisse nach Sicherheit und Führung befriedigen müssen. Das Pferd selbst bleibt nicht auf der Seelenebene hängen in der "schönen Verbundenheit", es macht sogleich den Wechsel und fragt nach Umsetzung, dem Tun. Ich gehe darauf näher ein in Lektion 5 über Herdenverhalten.
 
Wenn du nur eine der beiden Ebenen kennst oder geübt darin bist, fehlt dem Pferd und auch dir ein grundlegender Bestandteil eures Zusammenseins, die Verbindung von oben UND unten.

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Probiere Aus: Übung zur Seelenebene

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Wenn du mehr auf der Verhaltensebene als auf der Seelenebene zu Hause bist, kann es sein, dass du eher ein Verstandesmensch bist, und dein Zugang zu „oben“, oder zur Intuition vernachlässigt oder verneint hast. Das kannst du nachholen:

Gehe zu einem Pferd, stelle dich neben es und schaue, ohne etwas zu tun, was in dir vorgeht. Beobachte, wie du vielleicht etwas tun möchtest, es dir aber schwer fällt, nichts zu tun. Ganz wichtig: beherrsche dich! Tue wirklich nichts, denn es ist dein gewohntes Muster, etwas tun zu müssen anstatt zu lauschen und „nur“ zu Sein. Für die Seelenebene musst du unbedingt lauschen können. Tun kann auch eine Ausrede sein, um bei sich nicht hinhören zu müssen.

Vielleicht genügt nur das. Nichts zu tun und zu schauen, was dann mit dir innerlich passiert.
Falls du das gut kannst und es dir nicht schwer fällt, beobachte, ob du dabei abschweifst, oder ob du wirklich DA bist. Halte dich dazu an, deine Füsse zu spüren, damit du geerdet bist. Wenn das gelingt, achtest du aufs Pferd. Beobachte in dem Moment, ob deine Füsse wieder „weg gehen“ wenn du das Pferd anschaust. Falls sie noch da sind, gehst du weiter: du öffnest dich fürs Pferd und nimmst es einfach wahr. Beobachte jetzt, ob du es wertest (es ist schön, es hat mich gern, es mag mich nicht…usw). Das ist dein Verstand. Beachte diese Gedanken NICHT, denn sonst kannst du nicht aus dem Herzen wahrnehmen. Nimm die Nüstern des Pferdes wahr, oder die Augen, oder die Hufe, das, wohin es dich zieht, und beobachte nur, ohne das Beobachtete zu werten. Vor allen Dingen: erwarte nichts von dir und nichts vom Pferd.
Und wenn das gelingt, schaust du, was in dir passiert.
 

Übung zur Verhaltensebene

Wenn du mehr auf der Seelenebene zu Hause bist, kann es sein, dass dir Erdung fehlt und du gerne abschweifst, anstatt etwas zu tun. Spüre dadurch immer gut deine Füsse auf dem Boden und atme in die Füsse hinein.

Es kann auch sein, dass du Angst hast, Fehler zu machen und du deshalb lieber nichts tust. Oder du übernimmst nicht gerne Verantwortung für deine Handlungen und bist lieber ein Opfer.
Schaue einfach genau hin, was es bei dir ist. Das Wichtigste und zugleich auch das Schwierigste zum Weiterkommen ist die präzise Selbstreflexion. Versuche, dich nicht anzulügen. Denn das Pferd erkennt das sofort.

So kannst du deine Handlungsfähigkeit stärken, und deiner Angst vorbeugen:
Stelle dich neben ein Pferd. Erlaube dir nur wenige Augenblicke da zu verharren, und gehe danach sofort ins Tun. Du streichelst es, nimmst ein Huf auf oder führst es am Halfter irgendwo hin. Es kann auch etwas anderes sein, aber es ist wichtig, dass es eine aktive Handlung ist.
Beobachte dabei genau, was in dir passiert. Was alles für Gedanken auftauchen. Zum Beispiel „ich kann das nicht“. Oder „das Pferd will nicht“ oder "ich habe Angst, Fehler zu machen".
Vielleicht reicht das schon.
 
Wenn du weiter gehen möchtest, beobachte, ob deine Absicht mit deiner Handlung überein stimmt: Willst du wirklich, dass es dir folgt oder bist du dir nicht sicher? Hast du irgendwo Widerstände gegen die Aktion, die du gerade machst? Ohne klare, bestimmte Absicht wird das Pferd die Handlung nicht ausführen.
Nimm dir ganz kleine einfache Handlungen vor, damit du Kohärenz gut praktizieren kannst, und auch Erfolg hast.
Werte dich dafür nicht, wenn es nicht ganz gelingt. Das ist ok. Es ist viel wichtiger, dass du wirklich etwas tust.

 

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